09.November 2018 - Gedenken und Gedanken zur Realität und zum Buch "Die Mauer" von Christian Anders

13. August 2018. Gedenkveranstaltunmg und Kranzniederlegung in Berlin. Politiker gedenken der Toten. Welche Politiker? Große Namen wurden nicht vernommen. Viel Platz in den Nachrichten hinsichtlich der nächsten Wahlen. Mit wem könnte man bloß koalieren, um die Macht zu erhalten? SICHERUNG DER EIGENEN MACHT, WAHLKAMPFGETÖSE - AN SO EINEM TAG! HALTEN WIR UNS, WAS DIE EHRUNG DER TOTEN ANBELANGT, LIEBER AN DAS BUCH VON CHRISTIAN ANDERS:

 

"Es war einmal vor vielen Jahren, als die Berliner Mauer noch stand..." So beginnt Christian Anders' Liebesgeschichte aus dem Jahre 1983. Einerseits ist es eine alltägliche Geschichte, denn schließlich passiert es jeden Tag, dass zwei Menschen sich treffen und in einander verlieben, so wie es mit Peter und Veronika geschah. Und doch war alles auch ganz anders, weil sie nie eine wirkliche Chance bekamen, sich für einander entscheiden zu dürfen. Und  weil es etwas gibt, das auch eine Mauer nicht unterdrücken kann, und das ist die Stimme unseres Herzens. Sie weist den Weg, den eine höhere Macht für uns bestimmt hat. Es ist der Weg der Liebe. Ihn und nur ihn dürfen wir gehen, denn am Ende dieses Weges wartet immer auf uns, ob in dieser oder einer anderen Welt, der Mensch, den wir lieben.

Die Mauer (Musik & Lyrics: Christian Anders)

 

LIED HÖREN

 

Ost und West, das hat für uns nie gezählt

Wir wollten nur glücklich sein

Du und ich lebten in der Illusion

Eines Tages sind wir für immer vereint

Gebt sie frei habe ich so oft gefleht

Doch die dort oben sagten nein

Weil in ihrer Welt ein Mensch nichts zählt

Doch ich finde zu Dir, ich hol Dich dort raus

Ich lasse Dich nicht allein                                  

                                                              

DIE MAUER HAT UNS GETRENNT

DIE MAUER GNADENLOS UND FREMD

DIE MAUER GEBAUT VON HERZEN AUS STEIN

DIE MAUER DIE MICH UMGIBT

DIE MAUER HAT UNS NICHT BESIEGT

ICH WEISS EINES TAGES STÜRZT SIE EIN

 

Copyright Fotos: Verlag Elke Straube

Zum Vergrößern Fotos anklicken!

 

Meine Briefe an Dich kamen stets zurück

Wir durften uns nicht mehr sehn

Sie haben Dich und Deine Freunde bedroht

Doch Du bliebst stark, da sperrten sie Dich ein

Doch ich finde zu Dir, ich hol Dich dort raus

Ich lasse Dich nicht allein

 

DIE MAUER HAT UNS GETRENNT

DIE MAUER GNADENLOS UND FREMD

DIE MAUER GEBAUT VON HERZEN AUS STEIN

DIE MAUER DIE DICH UMGIBT

DIE MAUER HAT UNS NICHT BESIEGT

ICH WEISS EINES TAGES STÜRZT SIE EIN

 

 

Christian Anders: Die Mauer (Roman, 2015)

... Der Fluchthelfer steht auf, geht zum Lastwagen und fährt ihn mit dem Ladeflächenteil rückwärts an die Mauer. Nach einer Weile winkt er uns zu. Felix und ich gehen mit schnellen Schritten zum Wagen, klettern auf die Ladefläche, die jetzt mit leichtem Summen nach oben fährt. Dann sind wir auf Mauerhöhe. Der Fluchthelfer verlässt den Wagen, sagt noch „Viel Glück“ und geht davon. Er wird wohl seine Gründe haben dafür, dass er nicht bei uns bleibt.  Ich stehe mit Felix auf der Ladefläche, wir schauen vorsichtig über die Mauer und warten. Und dann sehe ich Veronika. Sie kommt direkt auf uns zu gerannt. Kein Grenzposten ist zu sehen. Sie hat nichts bei sich, trägt nur ein Sommerkleid und eine helle Bluse. Sie sieht aus wie ein Mädchen, das einfach über eine Wiese läuft und sich freut. So sieht es von weitem aus, doch als sie näher kommt, sehe ich ihr Gesicht, es ist ernst und entschlossen und dennoch nicht frei von Angst. Jetzt kann ich mich nicht mehr halten „Lauf, Veronika!“, rufe ich ihr zu. “Ich liebe dich! Du hast es gleich geschafft. Ich liebe dich!“ Und dann ruft sie von weitem etwas, dass mein Herz vor Freude und Glück fast zerreißen lässt: “Ich liebe dich auch Peter!“ Zusammen mit Felix lasse ich die Leiter auf die andere Seite der Mauer hinunter. Mit ausgestreckten Armen läuft Veronika auf uns zu, hat nun die Mauer erreicht, klettert die ersten Sprossen der Leiter zu uns hoch. Ich strecke meine Hand zu Veronika hinunter: „Komm, Veronika, nimm meine Hand! Ich zieh dich hoch!“ Da tauchen etwa fünfzig Meter hinter ihr zwei Grenzposten auf, mit Maschinenpistolen im Anschlag. Einer von ihnen ruft: “Stehen bleiben, oder ich schieße!“ Ich schreie, ich flehe: „NEIN, bitte, bitte nicht!!“ Ich beuge mich weit zu Veronika hinunter, die trotz der Warnung des Grepos weiter die Leiter hochklettert. Ich strecke meine Hand nach Veronika aus, nur Zentimeter trennen unsere Hände. Da fällt ein Schuss, es ist eher eine Salve. Veronika sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an, fällt wie in Zeitlupe nach hinten, prallt auf den Boden und hat ihre Arme immer noch nach mir ausgestreckt. Veronika, ich komme. Ich steige auf die Mauer, will hinunterspringen. Felix will mich zurückhalten, doch nichts kann mich im Augenblick zurückhalten, nichts und niemand. Ich will zu Veronika, die dort unten am Fuße der Mauer liegt. Ich springe von der Mauer  hinunter in die Ostseite, spüre den Aufprall gar nicht, knie neben Veronika. Sie sieht mich lächelnd an und flüstert mit ermattender Stimme: “Peter, wie schön, dass du gekommen bist.“ Ich nehme Veronika in den Arm. Sie stöhnt vor Schmerzen. Ihr Rücken ist nass, ich ziehe meine Hand zurück, sie ist voller Blut. Es ist Veronikas Blut. Ich  halte sie wieder im Arm. Dann sehe ich es. Das Kett-chen. Sie trägt mein silbernes Kettchen um den Hals. Ich küsse Veronikas Stirn. „Natürlich bin ich gekommen, Veronika. Wo sollte ich denn sonst hingehen? Ich gehöre doch zu dir! Wir zwei gehören zusammen, Veronika.“ Sie schüttelt matt den Kopf und lächelt unter Schmerzen. “Ost und West, das passt nicht zusammen Peter. Siehst ja, was geschieht, wenn zwei wie wir sich lieben!“ Die Grenzposten kommen immer näher. Das ist mir gleich. Ich sehe nur Veronika. Ich höre, wie Felix mir irgendetwas Warnendes zuruft, aber es interessiert mich nicht. Ich sehe und fühle nur Veronika. „Peter …“, flüstert sie mit einer Stimme, aus der jegliche Kraft gewichen zu sein scheint. „Komm näher.“ Ich halte mein Ohr an ihren Mund und höre ihre Worte wie aus weiter Ferne. “Peter ...“, flüstert sie: „Ich liebe dich so sehr. Es war ... schön mit dir.“ Das sind ihre letzten Worte, ihr Körper wird ganz schlaff. Ihr Kopf fällt weit zurück. Meine Tränen fallen auf ihr Gesicht. Man sagt doch, die letzten Worte von Sterbenden sind immer die Wahrheit. Und darum bin ich jetzt auf eine seltsame Weise glücklich, denn ich weiß, Veronika hat mich geliebt, sie hat mich wirklich geliebt. Ich nehme sie auf  meine Arme und trage sie den Grenzposten entgegen. Ihr wolltet sie? Ihr wolltet Veronika? Hier ist sie, hier habt ihr sie, und mich dazu. Angst habe ich keine, ich fürchte nicht um mein Leben, ich bin gerade mit Veronika gestorben, denn ohne sie hat mein Leben auch keinen Sinn mehr. Oh nein, ich habe keine Angst, denn Liebe kennt keine Angst, und Liebe kennt keine Grenzen.

 

Ende